Kommunikative Barrieren für psychisch belastete Menschen

Psychische Erkrankungen haben weitreichende Folgen für die Betroffenen. Es können sich Probleme am Arbeitsplatz ergeben. Daraus folgen sowohl finanzielle als auch (langfristig) gesellschaftliche Nachteile. Ein großer Anteil kommt aber auch den nicht sichtbaren Barrieren zu, die eine psychische Belastung nach sich zieht. Hier beschäftigen wir uns mit den Barrieren in der Kommunikation. Kommunikation ist eine der größten Stärken der Menschheit. Sie erreicht, dann ihre volle Wirkung wenn sie zur Verständigung verschiedener Parteien beiträgt.


Deshalb will ich versuchen in diesem Text Ansätze zu finden, um auf Kommunikationsschwierigkeiten psychisch Erkrankter hinzuweisen. Es werden immer Ansätze bleiben, da es mir (persönlich) unmöglich erscheint für eine psychische Krankheit einen adäquaten Ausdruck zu finden. Deshalb bleibt alles worin wir versuchen unsere Erkrankung auszudrücken ein Ansatz, selbst wenn es ein guter ist. Diese Unvollständigkeit spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass jede psychische Krankheit verschieden (schwer) ist und deshalb stets eine individuelle Betrachtung des gesamten (sozialen) Systems erfordert.


Eine schwer auszudrückende Tatsache ist die Diskrepanz zwischen Willen und Können eines Betroffenen. Dies spiegelt sich beispielsweise in der (natürlichen) Reaktion des Haderns mit der Erkrankung wider, das sich hauptsächlich aus dem Unterschied zwischen Wünschen und tatsächlichen Möglichkeiten nährt. Die immensen Restriktionen durch die Erkrankung versagen dem Betroffenen die Erfüllung von einfachen Tätigkeiten oder gar das Erreichen von Träumen. Kommunikativ sorgt dies für viel innere Resignation des Betroffenen zu dessen Ausdruck er oder sie sich manchmal nicht traut, um nicht andere Menschen (zusätzlich) zu belasten. Dieser Belastung kommunikativ keinen Ausdruck verleihen zu können kann zu einer weiteren Deprimiertheit des Betroffenen führen und so in einem schweigenden Teufelskreis enden. (Leid braucht Ausdruck).


Eine weitere Kommunikationsschwierigkeit besteht in der Unausdrückbarkeit von Gefühlen und Erleben einer psychischen Erkrankung. Dies isoliert den Betroffenen (auch) sozial. Diese Sprachlosigkeit gegenüber des eigenen Leides macht den Erkrankten auch hilf- und orientierungslos. Hier sollte ein Hilfesystem ansetzen, um (auch durch Selbsthilfegruppen) den psychisch erkrankten Menschen nicht in eine (kommunikative bzw. soziale) Isolation zu bringen.


Einen großen Teil der Isolation betrifft auch die (Selbst)Stigmatisierung eines Betroffenen. Sie ist ein weiterer Baustein, der zur Passivität oder zu defensivem Verhalten eines Menschen führen kann. Auch die Selbststigmatisierung mündet schließlich in einem Kommunikationsverlust mit der (sozialen)  Umgebung. Rückzug und Scham sind oft eine persönliche Folge.


Eine psychische Krankheit kann die persönliche Identität brechen und damit zu gravierenden Unsicherheiten in Kommunikation und Verhalten führen. Selbstzweifel und Nahrung für den inneren Kritiker sind die logischen Folgen. Um die (zerbrochene) Identität wieder aufzubauen ist viel Vertrauen notwendig, das aus verlässlichen Bezugspersonen entstehen kann.


Eine weitere kommunikative Schwierigkeit ergibt sich aus der Scham die Krankheit (auch vor sich selbst) zu geben zu können. Es gehört viel Mut dazu, als Betroffene(r) seine Belastungen und Probleme anzuerkennen oder darüber zu sprechen.


Auch die Angst vor Missverständnissen und Vorurteilen belastet die interpersonelle Kommunikation schwer. Da es (wie bereits oben erwähnt) wohl nie einen adäquaten Ausdruck für eine psychische Belastung geben wird kann es in jeder Unterhaltung mit nicht belasteten Menschen zu Verständnisschwierigkeiten kommen, die ihrerseits wieder Vorurteile bestätigen oder aufbauen können. Hierdurch entsteht eine nicht sichtbare, verbale Barriere zwischen belasteten und unbelasteten Menschen. Die Isolation der Belasteten wird auch dadurch verstärkt, dass sie oftmals nur bei Gleichbetroffenen auf Verständnis stoßen. Hier ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für die Anerkennung psychischer Krankheiten zu sorgen. Auch platte Vergleiche von stabilen Menschen wie etwa „Mir geht es ja auch mal nicht so gut…“ können kränken und so die Authentizität des Betroffenen untergraben. Dadurch wird der Leidende wieder zum isolierenden Schweigen verbannt. Es ist zu bemerken, dass diese Prozesse nicht einmal in der Realität ablaufen müssen, es genügt wenn sich solche Szenarien virtuell in den Köpfen der Betroffenen abspielen.


Eine weitere Hürde der Kommunikation stellt die aus der Erkrankung heraus genährte und gefühlte Minderwertigkeit des Betroffenen dar. Auch hier entstehen die Probleme zu aller erst im Kopf des Betroffenen ohne einen äußeren Einfluss. Es können Gefühle entstehen nicht in Ordnung oder nicht richtig zu sein, die bis hin zur eigenen Selbstausgrenzung aus sozialen Gruppen führen können.


Eine weitere Schwierigkeit im Kontakt mit anderen Menschen bildet die Unsichtbarkeit einer (schweren) Behinderung. So können selbst die Bemühungen eines Betroffenen ihm zum Nachteil gereicht werden, in dem Sinne, dass man niemandem seine Erkrankung ansieht und ihm deshalb „normale“ Erwartungen entgegen bringt. Auch dies zählt indirekt zu dem gesellschaftlichen Vorurteil: „Man sieht gut aus, also geht es einem gut.“ Diese oftmals subtilen Schlussfolgerungen des Umfeldes sind für den Betroffenen nur schwer zu durchbrechen und mindern dadurch wieder die Anerkennung seiner (schwierigen) Situation. Ich bitte zu bedenken, dass diese Prozesse auch non-verbal ablaufen können und dennoch in das Feld der Kommunikation fallen, da hier Interpretation und Realität oftmals nicht mehr miteinander übereinstimmen. Damit wird eine wohlwollende Kommunikation zur Pflicht aller Beteiligten.


Ein weiterer Punkt, der wirklich sprach- und ratlos machen kann sind die Hilfs- und Ratlosigkeit eines Betroffenen und seines sozialen Umfeldes. Eine psychische Erkrankung wiegt schwer in jedem sozialen Umfeld. So kann es sein, dass nicht einmal der Betroffene selbst sondern sein soziales Umfeld von Schuld- oder Verantwortungsgefühlen bezüglich der Entstehung einer psychischen Erkrankung geplagt ist. Auch hier kann betroffenes Schweigen entstehen.

Für den Betroffenen selbst kann auch die Perspektivlosigkeit sowohl in beruflichen als auch in privaten Situationen sehr starke Hemmungen in seiner Kommunikation auslösen. Die starke Identifizierung in der heutigen Gesellschaft über den Beruf (oder die Familie) macht die Situation für den Betroffenen nicht einfacher. Selbst (einfache) private Kommunikation über Familienplanung kann durch eine psychische Beeinträchtigung aufgrund biologischer Modelle der Medizin erschwert werden.


Auch in Köpfen der gesunden Bevölkerung gibt es Barrieren. So ist es einem psychisch gesunden Menschen kaum möglich sich in eine psychisch belastete Welt hinein zu versetzen. Diese Schwierigkeit der Empathie schlägt sich auch sowohl in der inter- als auch in der intrapersonellen Kommunikation der beiden Gruppen (von Belasteten und nicht Belasteten) nieder. Ein einfaches Beispiel ist die Vorstellung einer Depression, die ein gesunder Mensch (zum Glück) kaum zu haben vermag. Hier ist die Kommunikation intern in beiden Gruppen authentisch, jedoch schwer über die Gruppengrenzen hinaus zu erreichen.

Bezeichnend für die gesamte Situation psychisch kranker Menschen finde ich ein Zitat von Linkin‘ Park aus dem Song One More Light: Just cause you can’t see it doesn’t mean it isn’t there (frei übersetzt: Nur weil man etwas nicht sieht heißt es nicht, dass es nicht da ist). Dies gilt für alle Barrieren von Betroffenen, nicht nur für die in der Kommunikation.

Zum Abschluss möchte ich eine Perspektive entwickeln, wie wir trotz all der erwähnten Schwierigkeiten dennoch einen guten Weg finden können. Es betrifft unsere innersten Einstellungen und Ideale. Es sind Begriffe wie Vertrauen, Zuversicht und Hoffnung, die nicht nur in der Gesellschaft prinzipiell von Nöten sind, sondern auch im Hinblick auf Empowerment und Recovery psychisch erkrankter Menschen eine wichtige Rolle spielen. Vor allem stellvertretende Hoffnung für Betroffene kann viele schwierige Situationen auffangen und tragen, die alleine kaum bewältigbar gewesen wären. Damit ist die Kommunikation über psychische Erkrankungen als ganzes im positiven Sinne zu führen, sowohl von der Gesellschaft als auch von jedem Einzelnen.  

21.09.2020

Christian Marquardt

 

Hier noch ein zweiter Text, der sich mit dem gleichen Thema „Barrieren“ beschäftigt und einen guten Überblick gibt.

Innerpersonelle Barrieren

  • die (innere) Diskrepanz zwischen Willen und Können
  • die Unausdrückbarkeit von Gefühlen und Erleben (z.B. bei Depressionen oder Psychosen)
  • die (Selbst)Stigmatisierung, die wiederum defensives Verhalten zur Folge hat
  • der (eventuell) benötigte Wiederaufbau einer (neuen) Identität verursacht oftmals
    Unsicherheiten in Kommunikation und Verhalten
  • die Scham über die Erkrankung zu reden oder sie (auch vor sich selbst) zu zu geben
  • die Angst vor Missverständnissen und Vorurteilen
  • die (aus der Erkrankung) gefühlte Minderwertigkeit der eigenen Person
  • die Unsichtbarkeit einer schwer wiegenden Behinderung
  • die Hilf- und Ratlosigkeit des Betroffenen und seines sozialen Umfeldes
  • die Perspektivlosigkeit sowohl in beruflichen als auch in privaten Feldern kann sehr starke Hemmungen in der Kommunikation auslösen
  • die Barriere der Vorstellung einer psychischen Belastung

Äußere Barrieren

  • Schön wäre persönlicher Zugang zu zuständiger Sachbearbeiter*in bei Nachfragen – z.B. ist aktuell war das im Amt für Grundsicherung fast keine Person persönlich erreichbar war, JC ähnlich bzw. z.T. noch viel schwieriger
  • Bei weitem nicht alle Klient*innen sind online – es fehlt sowohl an technischer Ausstattung wie am know-how – ein freundlicher versierter Mensch könnte da sehr hilfreich sein
  • Z.T. unfreundliche und/oder abweisende Sachbearbeiter*innen mit fehlender Sensibilität für Erkrankung und schwieriger“ Klientel. Viele haben schlechter Erfahrung mit Ämtern gemacht, scheuen sich, was schnell mal als fehlende Mitwirkung o.ä. ausgelegt wird und die Situation verschärft
  • Fehlende Unterstützung und Beratung zur Durchsetzung von Ansprüchen und Bedarfen erforderlichenfalls einfache Sprache bei Formularen und Anträgen, persönliche Hilfe beim Ausfüllen
  • ein geschützter separater Raum zur Hilfe, Unterstützung und Beratung
  • die Möglichkeit eine Person des Vertrauens mitzubringen
  • in Einzelfällen und bei langwierigen Angelegenheiten sollte es eine unterstützende Person geben, die für den gesamten Vorgang zur Seite stehen kann
  • An der Pforte sollte jemand zur Verfügung stehen, der den suchenden Mensch erforderlicherweise im Haus zur richtigen Stelle begleitet
  • Die Stadtverwaltung sollte in Einzelfällen auch mobil unterwegs sein können
  • nicht ernst genommen erst wenn ein Sozialarbeiter sich meldet

Politische Barrieren

  • eine große Barriere ist, dass oft geklärt werden muss, wer überhaupt zuständig ist. Bewohner haben oft das Gefühl, „herumgeschoben zu werden“
  • auch das „Zusammenspiel“ von mehreren Ämtern wird als belastend und irritierend angesehen
  •  die Bürokratie, bei der Überprüfung des Hilfebedarfs, stellt eine große Barriere dar, da das Individuelle in eine vorgegebene Form beschrieben werden muss.
  • Es wird als schwierig angesehen, dass man bezüglich seiner Erkrankung, oft ein unangenehmes Thema, so transparent sein muss
  • die Schweigepflichtsentbindung fällt vielen Bewohnern schwer. Jedoch ist sie in der Regel zwingend erforderlich für die Leistungsgewährung
  • die Antragsstellung, vor allem in der Eingliederungshilfe, ist sehr kompliziert und für Menschen, die keine Hilfe durch das soziale Netzwerk, Betreuer*innen oder Andere haben nur schwer zu durchschauen und teilweise nur schwer machbar
  •  Bescheide sind weiterhin extrem sperrig und schwer bis unverständlich, im Amtsdeutsch verfasst
  • auch für uns hier Mitarbeitende z.T. kaum nachvollziehbar. Dies ist institutionszentriert, nicht klientenzentriert, einfache/re Sprache wäre sehr wichtig
  • Einige Anträge sind sehr schwer verständlich – z.B. bei Familienkasse wenn 1 Elternteil im Ausland lebt
  • Wohngeldstelle: Anträge werden sehr schleppend bearbeitet, Antragstellende bekommen z.T. keinen Bescheid, auf schriftliche Nachfragen gibt es keine Antworten, telefonisch ist niemand erreichbar
  • Fehlendes Beschwerdemanagement innerhalb der Behörden
  • Verwaltungsschreiben per Postversand sollte auch immer ein Exemplar in einfacher Sprache beigelegt werden.
  • Es sollte möglich sein auch online bzw. per Video zu Verwaltungsangelegenheiten (in einfacher Sprache) Auskunft und Hilfe zu bekommen
  • teilweise hab ich das Gefühl das ASS hat die Bedürfnisse und Wünsche von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen im Blick, aber andere Teile der Stadtverwaltung nicht, zum Beispiel Stadtentwicklung: mehr Einbezug von gefördertem Wohnraum ohne die Ghettoisierung zu fördern. (Im neuen Stadtteil Dietenbach ist dies ja wohl geplant, ist die Frage ob das tatsächlich umgesetzt wird und ob dies nicht auch in anderen Stadtteilen stärker umgesetzt werden kann und in wie fern die Wünsche von Betroffenen einbezogen werden oder die Planung von „oben herab“ übernommen wird und die tatsächlichen Vorstellungen/ wünsche nicht aufgreift  – individuell abgestimmte Hilfeleistungen ermöglichen: nicht für alle Personen passen die Angebote, die es gibt. Möglichkeit der Finanzierung über das persönliche Budget . BTHG soll aber individuell abgestimmten Blick fördern: ist aber nur die Frage, wie eingefahren Strukturen sind und wie hoch die Bereitschaft ist sich damit auseinanderzusetzen, da es natürlich mehr Arbeit ist und die Betroffenen formulieren können müssen, was sie wollen bzw. sich vorstellen können.

Prinzipiell

  • stärkerer Einbezug von Betroffenen oder Profis aus den gemeindepsychiatrischen Einrichtungen auf unterschiedlichen Ebenen (nicht nur auf einer übergeordneten Ebene, wie diese beispielsweise, sondern auch bei der Anwendung/Implementierung), um die Barrieren auf unterschiedlichen Ebenen abzubauen und die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft zu garantieren
  • häufig stehen (vor allem beim Antrags- und Berichtswesen) Diagnosen im Vordergrund, was die Pauschalisierung der Menschen fördert und der individuellen Betrachtung im Weg steht (auch hier Kommunikation basierend auf individuellen Problemlagen, die ja nicht bei jeder Person, die die gleiche Diagnose identisch sind )
  • eine Schulung, die die Mitarbeiter sensibilisiert für den Umgang mit psychisch beeinträchtigten Menschen

Was gut läuft

  • das man sich als vollwertiger Mensch fühlt
  • auf Augenhöhe geredet wird das was gesagt wurde wurde gemach
  • es wird als überaus sinnvoll erachtet, dass beim ASS nur ein Sachbearbeiter für die Eingliederungshilfe und die Grundsicherung zuständig ist
  • des weiteren, ganz allgemein gehen die Sachbearbeiter in den Hilfeplangesprächen sehr behutsam vor, werden nicht als „Gegner“ wahrgenommen.
  • die Kommunikation ist meist sehr emphatisch
  • sie nehmen oft den „Druck raus“, wenn sie zu Beginn sagen, dass die Hilfe weitergewährt wird.
  • es wird als entlastend angesehen, wenn die Leistung über einen langen Zeitraumgewährt wird