Radiobeitrag zum Thema Suizidprävention

Es gibt derzeit viel Berichterstattung zum sogenannten „assistierten Suizid“. Was demgegenüber viel zu kurz kommt, ist das Thema der Suizidprävention. Beide Themen haben eigentlich sehr wenig miteinander zu tun. Wenn vom „assistierten Suizid“ gesprochen wird, dann ist damit das gemeint, was früher „Sterbehilfe“ hieß. Dabei geht es darum, dass schwer und unheilbar erkrankte Menschen mit körperlichen Erkrankungen (z. B. Krebserkrankung im Endstadium) nun auch in Deutschland legal Unterstützung in Anspruch nehmen können, wenn sie ihren Leidensweg verkürzen möchten. Das ist durchaus ein wichtiges Thema für diese Menschen und es ist gut, dass sich damit beschäftigt wird. Was überhaupt nicht gut ist, das ist die Wortwahl. Denn dieser Sachverhalt ist etwas ganz anderes als Suizidgedanken oder suizidale Handlungen, die in der Regel durch eine schwere Lebenskrise oder zum Beispiel eine schwere Depression ausgelöst werden können. Hierbei handelt es sich um Menschen, die – wenn sie diese Krise oder depressive Phase überwunden haben – noch viele Lebensjahre vor sich haben können. Häufig entstehen Suizidgedanken oder auch suizidale Handlungen als Kurzschlussreaktionen oder als Reaktion auf von der Person als ausweglos erlebte Situationen.

Hier das Skript eines Betrages bei Radio Loca, bei dem unsere Vorständin, Carina Kebbel mitbeteiligt war:

 

 Was brauche ich, wenn ich solche Gedanken habe?

Negative Gedanken und Suizidgedanken haben die Tendenz, sich selbst immer weiter runterzuschrauben. Wenn ich mit solchen Gedanken allein auf mich gestellt bin, dann ist es schwer bis unmöglich, da wieder rauszufinden und auf andere Gedanken zu kommen. Das Allerwichtigste ist daher zunächst ein Mensch, dem ich mich anvertrauen kann. Jemand, der zuhört und da ist, jemand der nicht wegsieht. Das Chaos und die Probleme, die mich plagen, verändern sich dadurch nicht, aber ich fühle mich nicht mehr so allein.

„Der Mensch wird am Du zum ich.“ Sagte schon Martin Buber. Dieser andere Mensch ist dann so etwas wie das Lichtlein am Ende des Tunnels, ein Hoffnungsfunke. Ohne diesen tapst man hilflos weiter im Dunkel herum, mit diesem wird wieder ein Weg erkennbar. Es kann begonnen werden mit dem Loslaufen in eine Richtung. Wenn dieser Mensch mich versteht, dann fühle ich mich angenommen und manchmal kann schon allein dadurch wieder ein klitzekleiner Funken Hoffnung aufflackern. Das Gegenüber blickt auf das Chaos, welches ich selbst als unbewältigbar erlebe – weil ich ja mittendrin stehe – aus der Vogelperspektive. Diese andere Person kann – wenn ich mich mitteile – meine Probleme mit Abstand und ohne die emotionale Beteiligung betrachten, die mich in den ausweglosen Gedanken gefangen hält. Völlig verzweifelt und im Gefühl des freien Falls ins Bodenlose lässt sich nicht klar denken.

Hilfe und Unterstützung kann ich mir so nicht selbst suchen. Ich brauche jemanden, der für mich klarsieht und mir Optionen, Hilfen und Unterstützung aufzeigen kann. Vielleicht kann die erste Person, der ich mich anvertraue, das alles gar nicht leisten. Aber sie kann erkennen, dass ich Unterstützung brauche, kann weitere Personen hinzuziehen, die diese dann bieten oder organisieren können.

Was brauche ich, wenn ich das Gefühl habe, dass eine Person in meinem Umfeld lebensmüde Gedanken hat?

Ich brauche zunächst grundlegende Informationen zum Umgang mit dieser Situation, damit ich entgegen der tief verwurzelten Angst über solch ein Thema zu sprechen, der Person nicht ausweiche und sie allein lasse, sondern ihr signalisieren kann, dass ich ihr zuhöre und für sie da bin. Noch immer gibt es viele Fehlannahmen in den Köpfen der meisten Menschen, die verhindern, dass diese sich für die Person in der Lebenskrise oder mit suizidalen Gedanken als Unterstützung erweisen können. Viele Menschen denken noch immer

„Wer Suizidgedanken hat, möchte unbedingt sterben.“

„Wenn man Suizidgedanken anspricht, löst man einen Suizid aus.“

„Wer darüber spricht, tut es nicht.“

Der aktuelle Stand der Forschung zu diesem Thema deutet jedoch darauf hin, dass es genau andersherum ist: „Darüber reden kann Leben retten.“ Lautet demnach auch der Titel eines Flyers des Nationalen Suizipräventionsprogramms.

Die Ambivalenz, die mit suizidalen Krisen einhergeht, ist selbst vielen Fachpersonen nicht bewusst – ebenso wenig wie die bereits zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten.

Wichtig ist, dass ich mir klar mache, dass bei der Suizidprävention nicht (wie z. B. bei der Schwangerschaftsberatung) eine reine Übergabe oder Vermittlung von Informationen nützlich für die betroffene Person ist. Vielmehr ist der Aufbau einer vertrauensvollen und stützenden Beziehung wichtig, damit die Person mit lebensmüden Gedanken erfährt, dass ihr Leiden verstanden wird und nach Wegen gesucht wird, um ihr zu helfen einen Umgang damit oder Lösungen für die zu Grunde liegenden Probleme zu finden. Für diesen Prozess braucht es entsprechend geschulte Personen. Ähnlich wie bei der ersten Hilfe bei Unfällen, ist es jedoch auch bei suizidalen Gedanken die wichtige Aufgabe der Ersthelferin bzw. des Ersthelfers, eine lebenserhaltende Erstversorgung zu bieten bis an kompetente Hilfe übergeben werden kann.

 

Warum soll ich mich mit diesem schweren Thema auseinandersetzen?

„Insgesamt sterben in Deutschland wesentlich mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, AIDS, illegale Drogen und Gewalttaten zusammen.“ (S. 20)

Zu den jährlich fast 10.000 Suiziden in Deutschland kommen noch mindestens 100.000 klinisch relevante Suizidversuche hinzu. Von diesen ziehen geschätzt 10 % schwere Verletzungen mit zum Teil schwerwiegenden langfristigen Folgen nach sich. Das heißt, dass zu den Menschen, die aus dem Leben scheiden nochmals die gleiche Anzahl von Menschen hinzukommt, die zum Beispiel nach einem Suizidversuch querschnittsgelähmt ist.

All diese Menschen haben ein soziales Umfeld – Freunde, Familie, etc. Die WHO geht davon aus, dass von jedem durchgeführten Suizid 6 bis 20 Personen betroffen sind. Dies gilt dann vermutlich in ähnlicher Weise für die Menschen mit klinisch relevanten Suizidversuchen und jene, die davon bleibende Schäden davontragen. Auch bei diesen Personen kann davon ausgegangen werden, dass das soziale Umfeld in vermutlich ähnlicher Größenordnung mit betroffen ist.

Darüber hinaus gibt es dann noch sogenannte mittelbar Betroffene – Arbeitskolleg*innen, Mitschüler*innen, Menschen, die beruflich mit suizidalen Handlungen konfrontiert werden wie Ärzt*innen, Angehörige von Polizei und Feuerwehr, Zeugen der Handlungen, etc. Die Anzahl dieser Personen ist unbekannt, muss aber als erheblich vermutet werden.

Berücksichtigt man all diese (mit-)betroffenen Personengruppen zusammen, so kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass das Thema Suizidprävention allein schon auf Grund der Anzahl der Menschen, die damit in verschiedenster Art und Weise in Kontakt kommen, eine enorme Relevanz haben muss. Darüber hinaus natürlich, weil es ganz konkret und sehr direkt um Menschenleben geht. Es betrifft also eine hohe Anzahl von Menschen und ist existenziell.

 

Welche Rolle spielt die Berichterstattung in den Medien hierzu?

Wenn die Medienberichterstattung sich nicht an bestimmte Vorsichtsmaßnahmen hält, dann besteht die Gefahr für den sogenannten Werther-Effekt. Dieser Effekt wurde nach dem Roman „Die Leiden des jungen Werther“ benannt, weil nach Erscheinen dieses Buchs eine Zunahme von Suiziden verzeichnet wurde. Dieser Effekt wurde dann untersucht und es wurden Merkmale identifiziert, welche dabei eine Rolle spielen. Berichterstattung über Suizide und die Darstellung von suizidalen Handlungen in Filmen, Serien, Romanen, etc. sollte eigentlich darauf abzielen, diesen Effekt zu verhindern.

„Journalismus leistet die Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Gesellschaft (Luhmann, 1996) und prägt über seine Berichterstattung die Vorstellung der Rezipientinnen und Rezipienten von der sozialen Realität (Adoni & Mane, 1984), wobei der Einfluss der Medienberichterstattung umso grö0er wird, je weniger sich die Rezipierenden auf ihre eigenen Erfahrungen oder die Erfahrungen ihres sozialen Umfelds stützen können.“ (S. 80)

Die Medien schaffen mit ihren Darstellungen also Vorstellungen von der Wirklichkeit. Besonders massiv wirken diese geschaffenen Vorstellungen dann, wenn es sich um Sachverhalte handelt, zu denen man selbst keinen Bezug hat. Auch beim Thema Suizid kann daher davon ausgegangen werden, dass die Medien massiv die Wahrnehmung dieser Thematik prägen – ob sie das möchten oder nicht, ob ihnen das bis ins Letzte bewusst ist oder nicht.

Und sie haben daher auch die Chance mit ihrer Form der Berichterstattung den Papageno-Effekt auszulösen. Dieser ist sozusagen das Gegenteil vom Werther-Effekt. Eine Berichterstattung, die den Papageno-Effekt auslöst oder fördert, vermittelt die Botschaft, dass Krisen bewältigbar sind und überstanden werden können. Hoffnung oder stellvertretende Hoffnung zu vermitteln, ist hierbei das Ziel.

Im Sinne einer verantwortungsvollen medialen Berichterstattung, sollten diese beiden Effekte berücksichtigt werden.

 

An welche Dienste und Stellen kann ich mich wenden, wenn ich selbst in eine suizidale Krise gerate oder erkenne bzw. vermute, dass eine andere Person in einer solchen Krise ist?

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SPDI – Sozialpsychiatrischer Dienst

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