Selbsthilfegruppen: Zehn Fragen und Antworten zu dieser niederschwelligen Unterstützung

Zwar gibt es sie (noch) nicht „auf Kasse“, trotzdem kann sich einen ganz wesentlichen Beitrag zum  Umgang mit einer Erkrankung oder einer sozialen Ausnahmesituation leisten, weshalb sich die  Selbsthilfegruppe (SHG) auch weit nach 50 Jahren seit ihrer Entstehung noch immer eines großen  Zulaufs und Zuspruchs erfreuen kann – und sicherlich nicht umsonst als zusätzliche Säule des  Gesundheits- und Sozialwesens betrachtet wird. Doch viele Betroffene und Angehörige wissen  oftmals gar nichts von diesem Angebot, weil öffentlich noch allzu wenig über die SHG gesprochen  wird. Deshalb an dieser Stelle einige Antworten auf die häufigsten Fragen, die in Bezug auf die  Selbsthilfearbeit wiederkehrend aufkommen:  

1.) Was ist eine Selbsthilfegruppe – und was nicht?  

Eine Selbsthilfegruppe ist ein loser Zusammenschluss von Menschen, die ein ähnliches  Schicksal durchlaufen (haben) und sich zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch regelmäßig  treffen. Dabei geht es darum, aus dem Gespräch mit Gleichbetroffenen und/oder Angehörigen  Tipps und Ratschläge des Anderen für sich zu entdecken und auf die eigene Situation  anzupassen. Die Selbsthilfegruppe ist damit eine niederschwellige Ergänzung zum  medizinischen, therapeutischen und heilkundlichen Versorgungswesen und kann die dortige  Konsultation, Diagnostik und Behandlung keinesfalls ersetzen. Allerdings kann sie  übergangsweise und parallel zu einer Therapie in Anspruch genommen werden. Sie besteht  zumeist aus einer Zahl von mindestens 4 bis 6 und höchstens 14 bis 16 Teilnehmenden.  

2.) Folgt die Gruppe bestimmten Vorgaben?  

Selbsthilfegruppen sind in der Regel politisch und religiös unabhängig. Vereinzelt folgen sie  einem bestimmten weltanschaulichen Gedankenmodell und einer wiederkehrenden  Konzeptionierung und Schemata, besonders anonyme Gruppen haben oftmals eine derartige  Ausrichtung. Andernfalls gestaltet sie sich aus dem freien Gespräch untereinander, verfolgt  einen edukativen Ansatz (Aufklärung über Krankheit etc.) und hat gleichsam aber vor allem  einen intervisionellen, beratenden Mehrwert von und für Gleichgesinnte untereinander in  einem geschützten Rahmen und behüteten Umfeld, das gruppenspezifisch definiert wird.  

3.) Ist die SHG für jeden offen?  

Selbsthilfegruppen sind meist für Betroffene ab 18 Jahren offenstehend. Es gibt auch Gruppen  für Kinder und Jugendliche, wobei die mehrheitliche Meinung vorherrscht, wonach die  Ausrichtung einer SHG ab einem Alter von 14 Jahren zur Teilnahme geeignet erscheint. Viele  Gruppen erfordern eine Anmeldung und führen manches Mal auch ein erstes Kennenlern Gespräch unter vier Augen mit dem Gruppenleiter durch, ehe man schließlich der Gruppe  zustoßen kann. Zumeist sind Betroffenen- und Angehörigen-Gruppen aus gutem Grund  voneinander getrennt. Prinzipiell ist jede SHG für alle Teilnehmenden offen, die unter jener  Problemstellung (Krankheit, Behinderung, Schicksalsschlag, soziale Schieflage) leiden, der sich  die Gruppe verschrieben hat – beziehungsweise wenn sie Angehöriger solch einer Person sind. 

4.) Kostet die Gruppe etwas?  

In den meisten Fällen ist die Teilnahme an einer SHG kostenlos, weil sie in der Regel von den  Krankenkassen finanziell unterstützt wird, aber von Wirtschaft und Pharmaindustrie  unfinanziert bleiben soll – um Lobbyismus und Einflussnahme zu verhindern. Manchmal kann  es dazu kommen (besonders in der Aufbauphase einer SHG), dass die Gruppe für die  Bestreitung der Unkosten (Raummiete, Büromaterial, Kommunikationsmittel…) geringe  Teilnehmerbeiträge erhebt. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn sich die Gruppe als Verein  institutionalisiert hat und im Rahmen ihrer Satzung Mitgliedsbeiträge erhebt oder selbige an  eine Dachorganisation weitergeben muss. Der Leitgedanke aber ist eine kostenfreie SHG.  

5.) Muss die Teilnahme an der Gruppe verordnet werden?  

Eine ärztliche oder therapeutische Verordnung für die Teilnahme an einer SHG bedarf es nicht.  Die Selbsthilfegruppe ist auch nicht mit einer Gruppentherapie zu verwechseln, welche einen  psychotherapeutischen Anspruch hat und zu deren Teilnahme ein Antrag von der  Krankenkasse genehmigt werden muss, was für die Inanspruchnahme einer SHG nicht gilt  

6.) Kann ich in der SHG anonym bleiben?  

Sofern es sich nicht explizit um eine anonyme Gruppe (beispielsweise „Anonyme Alkoholiker“)  handelt, spricht man sich in der SHG zumeist mit dem Vornamen an. Entsprechende  Offenlegung persönlicher Daten wird in der Regel nicht erwartet. Eine Erhebung und  Verarbeitung dergleichen ist nach geltenden Gesetzen auch nur mit schriftlichen  Einwilligungen der Teilnehmenden möglich, weshalb hiervon in den allermeisten Fällen aus  bürokratischen Gründen und zum Schutz der Privatsphäre abgesehen wird.  

7.) Muss ich verbindlich und regelmäßig teilnehmen?  

Selbstverständlich bietet eigentlich jede SHG ein oder mehrere Kennenlerngespräche mit der  Gruppe an, denn tatsächlich muss jeder für sich herausfinden, ob dieses Konzept individuell  stimmig ist und auch die „Chemie“ und Atmosphäre mit den anderen Teilnehmern passt.  Sollte man sich allerdings für die regelmäßige Teilnahme an der Gruppe entscheiden, ist es  allein aus organisatorischen Gründen und für die Dynamik der SHG hilfreich, zuverlässig  teilzunehmen und sich im Zweifel bei einem etwaigen Fehlen rechtzeitig zu entschuldigen.  Dies liegt auch im eigenen Interesse, um Kontinuität und Erfolg zu gewährleisten.  

8.) Wer moderiert die SHG?  

Viele Gruppen haben einen Gruppenleiter, der sich um die Organisation (Finanzen,  Moderation, Öffentlichkeitsarbeit oder das Büro) kümmert. Im besten Fall sind diese Aufgaben  aber auf mehrere Schultern verteilt. Da eine Selbsthilfegruppe in den meisten Fällen  ehrenamtlich geleistet wird und die Moderation von einer freiwilligen Person übernommen  wird, die selbst betroffen ist, geht es in erster Linie nicht darum, dass sie eine geschulte  Anleitung oder thematische Unterrichtung erbringt – denn das ist in der SHG regelhaft gerade  nicht gewollt. Die SHG soll ein Ort sein, an dem sich Betroffene und Angehörige untereinander 

ohne therapeutischen Experten austauschen. Zwar können letztere zu Besuchen eingeladen  werden, sofern fachliche Fragen offen sind. Grundsätzlich ist der Moderator der Gruppe aber  ein Laie aus dem Kreis der Teilnehmenden, der die Aufgabe langfristig übernimmt oder sie  regelmäßig an anderen Gruppenmitglieder weitergibt. Ihm obliegt vor allem die Durchsetzung  festgelegter Gruppenregeln und die Einhaltung gemeinsamer Absprachen. Er ist wesentlich  dazu da, das Gespräch in der Gruppe zu lenken und möglichst alle Teilnehmer einzubeziehen.  

9.) Welche Regeln gelten in einer Selbsthilfegruppe?  

Zumeist geben sich die SHG eigene Gruppenregeln, wozu meist an erster Stelle die Pflicht zur  Verschwiegenheit aller Teilnehmenden gehört. Die Gruppe lebt vom Vertrauen, sodass es  zwingend erforderlich ist, sich auf die Diskretion der anderen Gruppenmitglieder verlassen zu  können. Weitere Leitlinien, die auch für andere Gruppen typisch sind, vermögen Redezeiten,  Interventionen bei Notfällen, das gegenseitige Aussprechenlassen, einen fairen Umgangsstil,  das Unterlassen von Belehrungen, den respektvollen Umgang mit anderen Meinungen,  zuverlässige Teilnahme oder Regelungen für die Handhabung von Daten zu beinhalten.  

10.) Wie lange sollte ich an einer SHG teilnehmen und wo finde ich sie überhaupt?  

Wer den Eindruck hat, dass die ärztliche, therapeutische und beratende Unterstützung durch  ein Selbsthilfeangebot sinnvoll ergänzt werden kann oder auf dieses hingewiesen wird, kann  sich an die nächstgelegene Selbsthilfekontakt- und -informationsstelle wenden. Sie ist unter  Abkürzungen wie SEKIS, SEKOS oder SKS zu finden und oftmals bei Städten, Landratsämtern,  

Organisationen der freien Wohlfahrtsbewegung, Hilfsorganisationen, Kirchen oder  eigenständigen Institutionen angesiedelt und geben Auskunft über bestehende SHG vor Ort  und fördern darüber hinaus den Aufbau und die Weiterentwicklung von Selbsthilfegruppen. Es  gibt keinen Richtwert, wie lange die Teilnahme an einer SHG sinnvoll erscheint. Selbstredend  ist es empfehlenswert, einen gewissen Zeitraum in Anspruch zu nehmen, damit das  „Wirkpotenzial“ der SHG entfaltet werden kann und eine Festigung und Stabilität der eigenen  Persönlichkeit und individuellen Lebenssituation erreicht wurde. Gleichermaßen rät es sich an  – wie auch bei Psychotherapien –, mit wiederkehrenden Abständen zu prüfen, ob die  Teilnahme an der Gruppe noch angezeigt, notwendig und erforderlich ist. Zwar ist die  Selbsthilfegruppe für viele Menschen zu einem langfristigen sozialen Begleiter geworden;  dennoch war ihr ursprüngliches Anliegen auch, die Teilnehmenden wieder zurück in die  ungeschützte Gesellschaft zu führen und Teilhabe zu ermöglichen. Insofern wäre durchaus  anzustreben, eine perspektivische Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit im Sinne  dessen anzustreben, dass ein Alltag auch ohne Besuch der SHG wieder möglich ist.  

Autor – Beratung für Gruppenleiter, Betroffene und Angehörige:  

Dennis Riehle | Selbsthilfegruppenleiter | Kommunikationsberater | Psychologischer Berater  Martin-Schleyer-Str. 27 | 78465 Konstanz | Mail: selbsthilfearbeit@riehle-dennis.de