Stellungnahme zur Stationsäquivalenten Behandlung (StäB)

Seit 1.1.2018 ist es den psychiatrischen Kliniken möglich Stationsäquivalente Behandlung (StäB) akuter psychischer Erkrankungen durchzuführen. Stationsäquivalent heißt, dass eine Indikation für einen stationären Klinikaufenthalt vorliegen muss, damit die Behandlung bei Bedarf im häuslichen Umfeld durchgeführt werden darf.

Diese Behandlung muss dann in Form und Intensität der stationären Klinikbehandlung entsprechen. Es gibt eine Vereinbarung zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherung mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, in der Details von StäB beschrieben werden, deren Lektüre wir zum weiteren Verständnis empfehlen.

Der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg (LVPEBW) e.V. setzt sich schon seit Jahren für eine Regelfinanzierung von Home Treatment ein und begrüßt es sehr, dass StäB nun von den Krankenkassen finanziert wird. Seit September 2018 ist der LVPEBW Mitglied im neu gegründeten StäB-Netzwerk.

Die folgende Stellungnahme soll als ein Impuls im Sinne der Interessenvertretung psychiatrieerfahrener Menschen für die weitere Zusammenarbeit im Netzwerk verstanden werden, aber vielleicht auch darüber hinaus wirken.

Grundsätzliches

1. Mitarbeit von Peers ermöglichen und somit die Nutzerperspektive in der Behandlung berücksichtigen.

Peermitarbeitende wie zum Beispiel EX-IN-Genesungsbegleiter sind ein unverzichtbares Element der psychiatrischen Behandlung und Begleitung. Der Einbezug der Nutzerperspektive birgt viele Chancen auf eine Weiterentwicklung der Hilfen. In Deutschland setzt sich die Mitarbeit von Peers auch in der Psychiatrie zunehmend durch. Dieser Entwicklung sollte sich auch StäB nicht verschließen. StäB ist hervorragend geeignet, Peers wirksam einzusetzen.

2. Die Behandlung sollte recovery- und empowermentorientiert sein und weitmöglichst auf gleicher Augenhöhe stattfinden.

Wir setzen uns schon lange für Konzepte wie Recovery und Empowerment ein. Diese führen zu Haltungen von Fachpersonen, die ausschlaggebend sind für einen psychisch förderlichen Umgang mit Patientinnen und Patienten bzw. mit Klientinnen und Klienten. Eine Begegnung weit möglichst partnerschaftlich und auf Augenhöhe sind für uns eine unbedingte  Voraussetzung. Dies scheint selbstverständlich zu sein, aber unsere Erfahrung zeigt, dass diesbezüglich noch viel getan werden muss.

3. Abkehr vom pathogenetischen medizinisch-biologischen Krankheitsmodell, hin zu einem biopsychosozialen, ganzheitlich salutogenetischen Ansatz

Da bei StäB der Ort der Behandlung nicht mehr die Klinik ist, ist zu hoffen, dass sich dies auch auf den Ansatz auswirkt, wie mit Patienten umgegangen wird. Das medizinisch- biologische Krankheitsmodell wird der jetzt möglichen ganzheitlichen Behandlung des Patienten nicht mehr gerecht. Neben seiner Biologie, wird der Patient auch von seiner Umwelt und seiner Persönlichkeit geprägt und sollte auch so verstanden werden.

Ebenso halten wir es für wichtig neben den krankheitsbedingten Defiziten, die gesunden Anteile im Blick zu haben und den Schwerpunkt auf die Förderung von Gesundheit zu legen und weniger die Behandlung von Symptomen im Blick zu haben. Wir wünschen uns, dass sich dadurch bei den Behandlern auch eine andere Gewichtung der medikamentösen Therapie ergibt und diese nicht mehr so ausgeprägt im Mittelpunkt steht wie bisher.

Was wir uns von StäB wünschen

1. StäB nicht isoliert durchführen, sondern Vernetzung mit anderen Hilfen anstreben.

Ein großes Anliegen ist es uns, dass die psychiatrischen Angebote in der Gemeinde miteinander vernetzt sind und gut miteinander kooperieren. Nur so können Zersplitterung des Systems, Intransparenz, Versorgungslücken einerseits und Redundanzen andererseits vermieden werden. StäB darf keine Insellösung sein und muss das Ziel sektorenübergreifender psychiatrischer Hilfe ebenso verfolgen wie alle anderen Akteure. Kooperation muss auf Leitungsebene und auf Mitarbeiterebene stattfinden.

Nur so können die Übergänge zwischen den verschiedenen Hilfeformen für die Patienten und Patientinnen konstruktiv gestaltet werden.

2. Entscheidung für oder gegen StäB möglichst nicht von institutionellen Zwängen abhängig machen, sondern personenzentriert entscheiden.

Grundsätzlich ist es für uns von großer Bedeutung, dass in der Psychiatrie in allen Bereichen personenzentriert gearbeitet wird. Das heißt, dass der Bedarf und die Bedürfnisse des Patienten die oberste Priorität haben.

Bei der Entscheidung, ob im Einzelfall in StäB aufgenommen wird oder nicht, dürfen nicht die institutionellen Interessen oder ökonomische Anreize im Vordergrund stehen. Auch wenn zum Beispiel auf den Stationen freie Betten zur Verfügung stehen oder das StäB-Team nicht ausgelastet ist, muss die angemessene Behandlung der Patientinnen und Patienten das Maß sein.

3. Soziales Umfeld und Sozialraum der Patientinnen und Patienten einbeziehen.

Ein ganz wesentlicher Vorteil von StäB ist, dass das soziale Umfeld und der Sozialraum der Patientinnen und Patienten einbezogen werden. Das ermöglicht ein umfassendes und ganzheitliches Verständnis der Lebenssituation. Zum Beispiel die Nachbarschaft, Vereine, Gemeinden oder kulturelle Angebote bieten Möglichkeiten die Erkrankung schneller zu überwinden.

Ebenso können auf diesem Weg Angehörige und Freunde wirksamer einbezogen werden. Wir möchten darauf hinweisen, dass mit Netzwerkgesprächen im Rahmen der Behandlungsform „Offener Dialog“ vielerorts gute Erfahrungen gemacht werden. Der Einbezug von sozialem Umfeld und Sozialraum ist uns wichtig und soll deswegen hier nochmals explizit betont werden, auch wenn dieser in der Vereinbarung schon berücksichtigt ist.

4. Nicht zu StäB überreden wollen, sondern Ablehnung akzeptieren, als Form von gelebter Selbstbestimmung.

Trotz aller Vorteile von StäB gibt es Patientinnen und Patienten, die diese trotz einer aus Klinikperspektive vorliegender Indikation nicht wahrnehmen wollen. Obwohl die StäB- Mitarbeitenden sicherlich von ihrem Angebot überzeugt sind, muss die Ablehnung akzeptiert werden, auch wenn die Mitarbeitenden StäB als hilfreich ansehen.

Der Verzicht des Patienten auf StäB ist gelebte Selbstbestimmung, der entsprochen werden muss. Zudem setzt StäB die Mitwirkungsbereitschaft voraus.

5. Beim StäB-Aufnahmegespräch nicht einseitig beraten, sondern auf Vor- und Nachteile von stationärer und stationsäquivalenter Behandlung hinweisen.

Bei einer engagierten StäB-Arbeit ist es normal, dass sich die Mitarbeitenden mit ihrer Tätigkeit identifizieren. Trotzdem muss in Informations- und Aufnahmegesprächen neutral beraten und auch auf die Nachteile von StäB und auf mögliche Vorteile einer stationären Klinikbehandlung hingewiesen werden. Nur so ist im Einzelfall eine tragfähige Mitwirkung in der Behandlung erreichbar und die Patientinnen und Patienten können sich fundiert für oder gegen StäB entscheiden.

6. Weit möglichst Verzicht auf Zwang gegenüber dem Patienten.

Es gibt nach unserer Erfahrung Ausnahmesituation, in denen auf Zwang im Rahmen einer Behandlung nicht zu verzichten ist. Entsteht schwere bzw. gefährliche Fremd- oder Eigengefährdung müssen eventuell auf Veranlassung durch das StäB-Team auch gegen den Willen den Patienten bzw. der Patientin Maßnahmen ergriffen werden.

Trotzdem muss der Verzicht auf Zwang handlungsleitend für das StäB-Personal sein. Es sollte kein Druck auf den Patienten ausgeübt werden. Die Wahrung der Würde und die Förderung von Selbstbestimmung muss sich jederzeit in der Haltung und den Handlungen des Personals ausdrücken.

Bedenken

Nachdem oben Wünsche an StäB beschrieben wurden, folgen nun einige Überlegungen mit denen gegenüber StäB Bedenken geäußert werden und die zur Diskussion anregen sollen:

1. In Modellprojekten nach § 64b SGB V lässt sich flexiblere aufsuchende Hilfe konzipieren.

Die Krankenkassen lassen hier in der Regel mehr Spielräume zu. Die starren Vorgaben bei StäB (zum Beispiel verpflichteter täglicher Kontakt mit dem Patienten) entsprechen nicht immer den Bedürfnissen des Patienten und erschweren eine fachgerechte Behandlung.

Ebenso ist es zu diskutieren, ob abgegrenzte StäB-Teams übergreifende Hilfen nicht erschweren. Wenn zum Beispiel Klinikpersonal der PIA oder der Ergotherapie aufsuchend im StäB-Team mitarbeiten würden, könnte sich die Behandlungskontinuität erhöhen. Insofern ist zu überlegen, ob StäB nicht nur ein weiterer Schritt hin zur sektorenübergreifender und vernetzter Behandlung ist und weiterentwickelt werden muss.

2. Da für StäB eine Indikation für einen Klinikaufenthalt vorliegen muss, werden nur schwerer psychisch erkrankte Menschen berücksichtigt.

Es gibt viele leichter erkrankte Patienten, denen mit einer Behandlung zuhause frühzeitig geholfen werden und so ein Fortschreiten der Erkrankung verhindert werden könnte. 3. Da StäB nur im Umkreis von ca. 30 km von psychiatrischen Kliniken angeboten wird, bleiben große Gebiete unversorgt.

So schwierig es auch scheint, sollten hier Lösungen gefunden werden, dass möglichst viele Menschen im häuslichen Umfeld behandelt werden können. Satellitenangebote von StäB in verwandten sozialen Einrichtungen, wie zum Beispiel ambulanten Pflegediensten, könnten hier vielleicht ein Lösungsansatz sein.

Fazit

StäB ist eine sinnvolle Erweiterung des Hilfeangebots, dessen Einführung noch bis vor kurzem nicht zu erwarten gewesen ist und positiv überrascht hat. Allerdings sollte StäB nicht als abgeschlossen betrachtet werden.

Es muss möglich sein aus Erfahrungen, die in Zukunft damit gemacht werden zu lernen und das Konzept anzupassen und weiter zu entwickeln. Vor allem sollte das Spannungsverhältnis zwischen Flexibilität und festen konzeptionellen Vorgaben für die Art der Behandlung im Auge behalten werden.

Hier erhalten Sie unsere Stellungnahme zum download:

Stellungnahme LVPEBW zu StäB (final).