Interessenvertretung Psychiatrieerfahrener im GPV

In BW ist das Konzept der Gemeindepsychiatrischen Verbünden (GPV) gut ausgebaut. Im GPV sitzen alle relevanten Akteure der Psychiatrie im Stadt- bzw Landkreis an einem Tisch und planen deren Weiterentwicklung gemeinsam. Laut Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz sind die Angehörigen psychisch erkrankter Menschen und die Psychiatrieerfahrenen daran beteiligt. Wir sind nun der Meinung, dass diese Mitwirkung noch stark verbesserungswürdig ist, zumal sich auch immer noch zu wenige Personen finden, die diese Arbeit machen wollen.

Letztendlich wollen wir eine Person auf Landesebene einstellen, die sich um diese Thematik kümmert. Sie soll unter anderem Schulungen organisieren, Vernetzung der Beteiligten fördern, informieren und beraten und mit Hilfe gelungener Beispiele für ausgesuchte Landkreise tätig werden.

Dies ist ein Projekt des Landesverbandes BW der Angehörigen psychisch Erkrankter und des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener BW, das in der AG Partizipation BW entwickelt wurde.

Dazu haben wir gemeinsam eine Projektkurzbeschreibung erstellt, die ihr im Anhang findet. Es wird Anfang nächsten Jahres ein Treffen mit den Vorständen des Landesverbandes Gemeindepsychiatrie BW und der DGSP BW sowie ein Gespräch mit dem Sozialministerium stattfinden.

Was haltet ihr von diesem Projekt? Könnt ihr euch mit den Zielen identifizieren? Wie funktioniert bei euch die Interessenvertretung Psychiatrieerfahrener und Angehöriger in der Region?

Projekt „Interessenvertretung Psychiatrieerfahrener und Angehöriger im Gemeindepsychiatrischen Verbund stärken und weiterentwickeln“

des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener BW und des Landesverbandes BW der Angehörigen psychisch Kranker

Teilhabe ist ein wesentliches Ziel der UN-Behindertenrechts- konvention und im Bundesteilhabegesetz hat die Mitwirkung der Verbände der Menschen mit Behinderung große Bedeutung. Auch der Landespsychiatrieplan fordert, dass im Gemeindepsychiatrischen Verbund (GPV) für die Psychiatrie-Erfahrenen und für die Angehörigen „klare und verbindliche Formen der Partizipation eingerichtet“ werden. Wir wollen in Zukunft die Mitsprache der Betroffenen und der Angehörigen auf der kommunalen Ebene weiterentwickeln.

Unser übergeordnetes Ziel ist dabei: Wir wollen erreichen, dass die Angehörigen und Psychiatrie-Erfahrenen ihre Interessen gleichberechtigt mit den anderen Beteiligten bei den Planungen und Entscheidungen zur Gestaltung der Versorgung vertreten können – nicht nur auf der Einzelfallebene, sondern gerade auch auf der Strukturebene. Dafür ist politische und finanzielle Unterstützung notwendig.

Warum ist uns Partizipation wichtig?

Wenn die Perspektiven der Angehörigen und Psychiatrieerfahrenen einbezogen werden, bekommt die Entwicklung des psychiatrischen Hilfesystems neue Impulse und eventuelle Schwachstellen können erkannt und behoben werden. Zudem erhöht die Mitsprache der Betroffenen deren Motivation und Identifikation mit den Hilfsangeboten und damit auch den Grad der Akzeptanz und Zufriedenheit.

Zwar zeigen die von KVJS, Städtetag und Landkreistag herausgegebenen GPV-Dokumentationen, die in mehrjährigen Abständen die Entwicklung der GPV-Strukturen in Baden-Württemberg beschreiben, dass die Beteiligung von Selbsthilfe-Vertretern an den Sitzungen der GPV- Gremien kontinuierlich ansteigt. Allerdings sagt allein die Anwesenheit von Vertretern der Angehörigen- und der Betroffenen-Gruppen über die reale Mitsprache wenig aus.

Die Ausgangssituation – was die Mitsprache bisher erschwert

Vertreter der Betroffenen und der Angehörigen selbst erleben ihre Mitsprache im GPV bis jetzt häufig als nicht wirksam. Sie haben in Vorträgen und Aufsätzen schon mehrfach auf die wenig entwickelte Mitsprache der Selbsthilfe-Organisationen hingewiesen (vgl. hierzu z.B. Rainer Höflacher und Barbara Mechelke in Psychosoziale Umschau 1/2017). Sie kritisieren, dass sie nicht an den wirklichen Planungen und Entscheidungen beteiligt sind – aus verschiedenen Gründen:

Oft sind die Interessenvertreter der Angehörigen und der Psychiatrie-Erfahrenen nicht in den Informationsfluss und Meinungsbildungsprozess eingebunden, der den GPV-Sitzungen vorausgeht

Manche wichtigen Entscheidungen fallen nicht im Steuerungsgremium des GPV selbst (die Bezeichnungen dafür sind örtlich unterschiedlich), sondern in gesonderten Treffen der Träger untereinander oder zwischen Kommune und Träger, ohne dass dies transparent wird.

Oft ist auch die Weitergabe von Informationen aus GPV-Sitzungen an die Basis nicht erwünscht, das heißt den Selbsthilfevertretern wird ein sensibler Umgang mit diesen Informationen nicht zugetraut.

In den Selbsthilfe-Gruppen selbst fehlt oft der Überblick über das Hilfesystem, so dass Informationen nicht ohne weiteres in den größeren Zusammenhang eingeordnet werden können.

Es fehlen unterstützende Rahmenbedingungen, die die Beteiligung erleichtern würden:

  • So sollten die Gremiensitzungen nachmittags stattfinden, da viele Selbsthilfe- Vertreter wie die Fachleute auch berufstätig sind.
  • Es gibt keine Entschädigung für Verdienstausfall bzw. eine angemessene Aufwandsentschädigung.

Selbsthilfevertreter beklagen die Fachsprache der Profis, welche Distanz herstellt, und erleben, dass ihnen auch Wissen über das kommunale Hilfesystem fehlt.

Manchmal ist offen, ob die Beteiligten in ihrer Rolle als Sprecher einer örtlichen Gruppe mitwirken oder ob sie auf Mitarbeit angesprochen wurden, weil Fachleute sie zufällig kennen und sie dann nur ihre persönliche Meinung vertreten. Das heißt, es stellt sich die Frage, auf welche Weise die Interessenvertreter legitimiert sind.

Die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe hat zunächst einmal ein anderes Ziel als die Interessenvertretung bei der Gestaltung des Hilfesystems. Teilweise entstehen Interesse und Motivation zur Mitwirkung in Gremien bei den Betroffenen und Angehörigen erst allmählich, wenn die Zusammenhänge zwischen der persönlichen Situation und der Ausgestaltung des Hilfesystems erfahren werden. Nicht selten ist der Besuch einer Selbsthilfegruppe dann aber der Einstieg in ein weitergehendes sozialpolitisches Engagement.

Das Fazit:

Unklare Situationen und Abläufe, fehlende Rahmenbedingungen, undeutliche Rollen, unklare Motivationen. Unser Anliegen ist es, an diesen Problemen anzusetzen und die Mitsprache und Mitentscheidung bei der Gestaltung der kommunalen Versorgungsstrukturen zu stärken.

Unser Vorschlag zur Weiterentwicklung der Mitsprache:

Als Vertreter der Selbsthilfe-Verbände regen wir an, über mehrere Jahre hinweg ein Projekt „Interessenvertretung Psychiatrieerfahrener und Angehöriger im Gemeindepsychiatrischen Verbund stärken und weiterentwickeln“ zu realisieren. Es geht darum, eine neue Unterstützungsstruktur im psychiatrischen System aufzubauen. Diese könnte im Rahmen eines Projekts zuerst erprobt werden, um dann fest etabliert zu werden. Das Vorhaben verfolgt folgende Teilziele:

Aufbau einer eigenständigen Struktur auf der Landesebene mit folgenden Aufgaben:

  • Austausch: Durchführung eines selbstorganisierten landesweiten Austausches der örtlichen Vertreter pro Jahr (mit Reisekostenerstattung)
  • Good practice: Sammeln und Weiterleiten von guten Beispielen gelungener Partizipation
  • Fortbildung: Entwicklung und Durchführung einer selbstorganisierten Fortbildung „Partizipation“ mit 3-4 Module ähnlich der Fortbildung für die IBB-Stellen. Die Konzeption und Koordination verantworten die Selbsthilfeverbände. Den örtlichen Vertretern und Interessierten werden durch diese Fortbildung Wissen und Fähigkeiten zur Mitsprache bei der Gestaltung von Strukturen und Prozessen im Hilfesystem vermittelt. Es sollten dabei die Reisekosten für die Teilnehmenden und Honorare für die Referenten bezahlt werden können.
  • Zusammenarbeit mit den Akteuren der psychiatrischen Versorgung, um Partizipation weiter zu entwickeln.

Unterstützung braucht es auch auf der kommunalen Ebene:

  • Befähigung der örtlichen Interessenvertreter zur wirksamen Mitarbeit im GPV zum Beispiel mit Hilfe von fachlichem Austausch und Info-Material.
  • Verbesserung des Informationsflusses zu den einzelnen Gruppen hin.
  • Förderung der kreisübergreifenden Zusammenarbeit der örtlichen Gruppen.
  • Benennung eines im örtlichen GPV für Partizipation verantwortlichen Ansprechpartners und Aufbau einer Arbeitsgruppe, die sich um die Partizipationsförderung im GPV kümmert.
  • Klärung von Aufwandsentschädigungen für die Teilnahme an den örtlichen Treffen des GPV und an Planungen und Abstimmungen zwischen den GPV-Treffen entsprechend den jeweiligen kommunalen Regelungen.

Das oben beschriebene Vorhaben, die Partizipation der Angehörigen und der Psychiatrieerfahrenen im GPV zu stärken und weiter zu entwickeln, übersteigt die personellen und finanziellen Kapazitäten der beiden verantwortlichen Selbsthilfeverbände bei weitem.

Deshalb ist es notwendig, dafür eigene Personalkapazität zu schaffen. Vorgeschlagen wird die Anstellung einer koordinierenden Person bei den Verbänden auf Landesebene (mit einem Stellenteil von 100%), welche die Projektziele umsetzt.

Barbara Mechelke
Landesverband Baden-Württemberg der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (LVBWApK)

Rainer Höflacher
Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg e.V. (LVPEBW)

Hier erhalten Sie die gesamte Projektbeschreibung als Download